Der Geruch von Blut und Schande

Ernst Klee schreibt ein Who’s Who der deutschen Kulturschaffenden im „Dritten Reich“

Von André Schwarz

Thomas Mann stellte kurz nach Kriegsende rigoros fest, dass die Bücher, die in den Kriegsjahren in Deutschland gedruckt werden konnten, „weniger als wertlos“ seien. Ihnen hafte, so Mann, „der Geruch von Blut und Schande“ an. Unrecht hat er damit in weiten Teilen sicherlich nicht, so manches geradezu unerträgliche Machwerk erblickte in jenen Jahren das Licht der gleichgeschalteten Öffentlichkeit. Einen Überblick aber über die Vertreter des Kulturlebens im „Dritten Reich“ zu erhalten, war bislang nicht sonderlich einfach, waren die Informationen doch nur weit verstreut zugänglich.
Abhilfe schafft hierbei nun Ernst Klee, der bereits mit seinem hervorragenden, 2003 erschienenen „Personenlexikon zum Dritten Reich“ einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der NS-Geschichte leistete. In knapp 4.000 Einträgen versammelt Klee in seinem „Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945“ erstmalig eine Auswahl der wichtigsten beziehungsweise bekanntesten Kulturschaffenden Nazideutschlands. Er orientiert sich dabei an der so genannten „Gottbegnadetenliste“, die Goebbels’ Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda zusammengestellt hatte und die die „kriegswichtigen“ Künstler, die sich darauf befanden, vom Einsatz an der Front frei- und in den Dienst der Propaganda stellte.
Illustre Namen finden sich darunter, Heinz Rühmann und Gustaf Gründgens ebenso wie Wilhelm Furtwängler und Herbert von Karajan, um nur einige zu nennen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie sich nach dem Kriegsende beinahe nahtlos in die neu entstehende Bundesrepublik einfügten, die, wie Fritz Raddatz in der „Zeit“ so treffend schrieb, „ein Land ohne Gedächtnis, ohne Vergangenheit“ war. Als hätten die Jahre zwischen 1933 und 1945 nicht existiert, fand sich etwa Führers Lieblingsschauspieler Rühmann als vollkommen unbefleckter Star des neuen Staates wieder, wurde mit Ehrungen und Ergebenheitsbezeugungen überhäuft wie kaum ein zweiter. Keine Rede mehr von seiner Mitwirkung an etlichen Durchhaltefilmchen, keine Rede davon, dass er sich von seiner ersten Frau scheiden ließ, weil sie Halbjüdin war.
Bernhard Minetti, der von Thomas Bernhard (der ansonsten in deutlichsten Worten die Blindheit gegenüber den katholisch-nationalsozialistischen Wiedergängern anprangerte) überaus geschätzte Theaterschauspieler, fand sich ebenso auf den wichtigsten Nachkriegsbühnen wieder wie Curd Jürgens, der es als Schauspieler in Hollywood an die Seite von Orson Welles schaffte.
Und so stellt sich beim Durchblättern des Lexikons ein schockierendes Gefühl der ungebrochenen Kontinuität ein. Der spätere „FAZ“-Herausgeber Klaus Korn publizierte antisemitische Texte in diversen Nazizeitungen, er befand sich hierbei in guter Gesellschaft mit Henry Nannen („....Und wie der Führer aus unserer innersten Mitte gleichsam als Verdichtung unseres ganzen Volkes wunderhaft heraufgestiegen ist...“) und dem späteren „Zeit“-Chefredakteur Josef Müller-Marein, der auch dem „Völkischen Beobachter“ gute Dienste leistete.
Mitunter scheint auch die beinahe schon groteske Banalität des Bösen durch, wenn ein ehemaliger KZ-Kulturbeauftragter nach dem Krieg als angesehener Gummifabrikant in der deutschen Provinz seine Schäfchen ins Trockene bringt.
Klee vergisst aber auch nicht die Opfer jener Blut-und-Boden-Kultur. Im Gegensatz zum „Personenlexikon“ finden sich im „Kulturlexikon“ auch Kulturschaffende, die von den Nazis und ihren willigen Helfern ermordet wurden, Kurt Gerron etwa, der in der Uraufführung von Brechts „Dreigroschenoper“ in Berlin den Londoner Polizeichef spielte. Er gibt somit den Verfemten, Verfolgten und Ermordeten ihren Platz in der deutschen Kulturlandschaft und verdeutlicht so die Barbarei der Auslöschung und Verfolgung eines nicht unbeträchtlichen Teiles des Kultur und deren Ersetzung durch willfährige staatlich gelenkte „Künstler“.
Doch einige deutliche Schwächen des Buches darf man nicht leugnen. Auch wenn Klee deutlich subjektive Aufklärung betreibt, wie man am nicht immer objektiven Duktus der Texte gut beobachten kann, einige Eintragungen sind schlicht unverständlich. Was suchen beispielsweise William Shakespeare oder Martin Luther in diesem Lexikon. Weil Sie gerne von den Nazis vereinnahmt wurden? Das wurden andere Teile der deutschen wie europäischen Kultur auch, da hätte man das Ganze doch recht ausufernd gestalten müssen. War denn Benito Mussolini ein Kulturschaffender, und wenn ja, wieso fehlt dann der „erste Künstler der Nation“, der Führer höchstselbst? Warum findet man die Jung-Wiener Felix Salten und Hugo von Hofmannsthal nebst Robert Musil und der Familie Mann?

Klees lapidare und saloppe Sprache in einigen Artikeln kann man getrost hinnehmen, oft ist er offen polemisch, was aber in keinem Fall als Nachteil zu sehen ist, auch wenn etwas Feinschliff der Sache durchaus nicht geschadet hätte. Die Grenzlinien, mit denen Klee die Aufnahme beziehungsweise Nichtaufnahme ins Lexikon rechtfertigt und die er im Vorwort anspricht, weicht er selbst im Verlauf des Buches auf, die unsinnigen Einträge tun leider ihr Übriges, um die Qualität des Buches zu mindern. Schade ist es, denn eigentlich wäre das Lexikon eine uneingeschränkt zu empfehlende Pflichtlektüre für jeden, der sich mit dem „Dritten Reich“ beschäftigt. So beschädigt sich Klee und sein zu lobendes Anliegen nur selbst.

 

Ernst Klee: Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
716 Seiten, 29,90 EUR

ISBN 3-10-039326-0