Nulla dies sine linea

Ein Katalog zur Felix-Salten-Ausstellung im jüdischen Museum Wien

Von André Schwarz

Einst war er einer der bekanntesten Journalisten und Schriftsteller Wiens, Walter von Molo schrieb in einem Artikel anlässlich des sechzigsten Geburtstages: „Als ich in Wien Student war, fragten wir uns nach jedem Ereignis in der Öffentlichkeit: Was sagt Salten dazu?“ Blättert man durch Karl Kraus’ „Fackel“, so findet sich kaum ein Name so häufig wie der seines anfänglichen Freundes und späteren Lieblingsfeindes Salten.
Der 1869 in Budapest als Siegmund Salzmann geborene Salten hinterließ bei seinem Tod im Jahr 1945 ein recht beachtliches und von der Forschung bislang sträflich vernachlässigtes Oeuvre. Lediglich zwei Werke davon blieben im kollektiven Gedächtnis hängen: Zum einen „Bambi“, das aber von einem Großteil der Öffentlichkeit eher als Walt-Disney-Film denn als Werk des Schriftstellers wahrgenommen wird. Und zum zweiten die 1906 erstmals erschienene „Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt“, ein veritabler pornografischer Roman, der Salten zugeschrieben wird, dessen Verfasserschaft er aber leugnete.
Alle anderen Novellen und Romane, darunter lesenswerte kleine frivole Schelmenstücke wie „Die Gedenktafel der Prinzessin Anna“, „Der Schrei der Liebe“, die Romane und Erzählungen „Die klingende Schelle“ oder „Olga Frohgemuth“ sowie seine um des Broterwerb willens geschriebenen späteren Tiergeschichten sind nur mit Glück in Antiquariaten erhältlich oder gänzlich verschollen.
Das jüdische Museum in Wien hatte den Mut, einem der verdienstvollsten Wiener Persönlichkeiten des fin de siècle eine Ausstellung zu widmen (5. Dezember 2006 - 18.März 2007) und in Zusammenarbeit mit dem Holzhausen Verlag einen Ausstellungskatalog herausgegeben, der sich dem „unbekannten Bekannten“ unter den Jung-Wiener Literaten nähert. In drei Abteilungen verhandeln die Herausgeber Siegfried Mattl und Werner Michael Schwarz die Stationen Saltens als „Schriftsteller ­– Journalist – Exilant“. Der Band ist nicht nur ein Ausstellungskatalog, er versammelt auch zwölf Essays etwa über Saltens Beschäftigung mit Gustav Klimt (Andrea Winklbauer), dem Kino (Elisabeth Büchner) oder der „psychophysischen Pädagogik des Urbanen“, wie seine Auseinandersetzung mit den Chancen und Problemen der neuen Urbanität von Klaus Müller-Richter treffend benannt wird.
Unbedingt lesenswert ist hierbei der Text von Claudia Liebrand über „Die Komödie der  Sexualität“ in der „Josefine Mutzenbacher“, in dem sie knapp und präzise die herausragende Rolle der Sprache im pornografischen Roman darlegt, in dem die Rede über Sexualität den Akt vorwegnimmt und das Begehren weniger als Reiz des Körpers als vielmehr im Reden über die Körper seinen Ausgang nimmt. Sie zeigt auch Saltens Lust am Spiel mit den Institutionen, an seiner zwar hintergründigen, aber immer wieder vehement vorgebrachten Kritik am Althergebrachten. Zielscheiben sind hierbei im Falle der Mutzenbacher die Kirche, im Falle anderer – von Liebrand leider nicht berücksichtigter Texte – wie etwa in „Der Schrei der Liebe“ oder in den „Bekenntnissen einer Prinzessin“ der Adel.
Einem völlig anderen und recht ungewöhnlichen Aspekt widmet sich Moritz Baßler in seinem gelungenen und kurzweiligen Beitrag „Ein Rudel mißlungener Rehe“, in dem er das Rehmotiv in der deutschen Literatur untersucht. Und man ist in der Tat überrascht, wo denn das Reh wie auch anderes Wild des Waldes überall auftaucht, sei es bei Eichendorff, Goethe, Schiller, Keller und Raabe – unerwartet und überaus skurril aber auch in einer „Danksagung“ von Johannes R. Becher an Stalin nach dessen Tod: „Dort wirst du, Stalin, stehn, in voller Blüte/ Der Apfelbäume an dem Bodensee,/ Und durch den Schwarzwald wandert seine Güte,/ Und winkt zu sich heran ein scheues Reh“. Und zeigte sich nicht Slobodan Milosevic ebenso wie Helmut Kohl nebst Gattin gerne auf Fotos mit Rehen?
Gleich zwei Beiträge beschäftigen sich mit Saltens Haltung zu Palästina, Siegfried Mattl und Werner Michael Schwarz untersuchen den programmatischen Text „Neue Menschen auf alter Erde“, Reiseberichte von Saltens Fahrt durch Palästina im Jahr 1924; und Manfred Dickel schreibt über „Felix Salten als zionistischer Schriftsteller“. Und in der Tat ist es auffällig, dass dieser sich – auffällig vor allem im Vergleich mit dem nur geringen Engagement vieler seiner Jung-Wiener Freunde – intensiv für die Sache des Judentums einsetzte. Er engagierte sich auch für Theodor Herzls „Welt“, schrieb einige Sachen für das Blatt der zionistischen Bewegung, völlig konträr übrigens zum etablierten Wiener Judentum, das Herzls Kampagne mehrheitlich ablehnte und für den stets um seine materielle Existenz kämpfenden Salten sicherlich nicht ohne Risiko.
Weitere Aufsätze widmen sich der Faszination des „Wurstelpraters“ (Siegfried Mattl und Werner Michael Schwarz), der Verbindungen Saltens zu den USA, unter anderem auch im Hinblick auf dessen Vorsitz des österreichischen PEN (Robert McFarland), der tschechischen Rezeption von „Das Österreichische Antlitz“ (Kurt Ifkovitz).
Etwas aus der doch recht literaturwissenschaftlichen Ausrichtung fällt der anekdotenlastige Beitrag „Mein Großvater“ von Saltens Enkelin Lea Wyler, der sich allerdings mit der stimmigen Hommage Doron Rabinovicis an „Bambis jüdischen Vater“ und der fundierten biografischen Annäherung von Mattl und Schwarz zu einem angenehmen Ganzen verbindet.
Aufgelockert werden die Beiträge durch zahlreiche Abbildungen, die nicht nur den Menschen Salten und seine Familie im Laufe des Lebens portraitieren, sondern auch durch die Wiedergabe zeitgenössischer Fotografien, Postkarten, Programmzettel, faksimilierten Briefen, Gemälden und Buchtitel dem Leser und Betrachter ein Panorama vor Augen führt, das die Erschließung des gesellschaftlichen wie persönlichen Kontextes ungemein erleichtert. Abgerundet wird der Band fernerhin durch eine Filmografie und ein Werkverzeichnis, das auch dem Literaturwissenschaftler eine gute Hilfe ist, sind solche Informationen über das Oeuvre Saltens doch äußerst spärlich gesät. Obgleich darin einige – zum Teil Haar sträubende – Fehler in vorhergegangenen Publikationen korrigiert wurden und zahlreiche Angaben hier erstmals auftauchen, so gibt es aber auch hier geringe Unsicherheiten bei der Datierung etwa bei „Der Schrei der Liebe“.
Abgesehen davon ist „Felix Salten. Schriftsteller – Journalist – Exilant“ ein überaus gelungener und lange erhoffter Beitrag zur Salten-Rezeption, es bleibt zu hoffen, dass sich gerade die Literaturwissenschaft intensiv beziehungsweise erneut mit einem der herausragensten Vertreter der Wiener Moderne beschäftigt. Ein wichtiger Schritt ist mit der Ausstellung und dem daraus hervorgegangenen Buch auf jeden Fall getan.

 

Felix Salten. Schriftsteller – Journalist – Exilant.
Herausgegeben für das jüdische Museum der Stadt Wien von Siegfried Mattl und Werner Michael Schwarz.
Holzhausen Verlag, Wien 2006.
192 Seiten, 25,90 EUR

ISBN 987-3-85493-128-7