Die Sprache der Mörder und Vollstrecker

Zur Neuauflage von Cornelia Schmitz-Bernings „Vokabular des Nationalsozialismus“

Von André Schwarz

Immer wieder stolpert man im Alltag über bestimmte Formulierungen und Phrasen, die einen inne halten lassen. Da wird an einer „Endlösung“ eines Problems gearbeitet, der Kölner Kardinal faselt in einer Predigt davon, dass „der Kult im Ritualismus [erstarrt] und die Kultur entartet“ und auch der deutsche Vizekanzler bezeichnet mit Unschuldsmiene die auch von ihm und seiner Partei jahrelang protegierten private equity-Gesellschaften als „Heuschrecken“ – trotz aller Dementi eine gefährliche Nähe zur „Parasiten“-Terminologie der Nationalsozialisten.
Die „Sprache des Unmenschen“, wie Dolf Sternberger, Gerhard Storz und W. E. Süskind sie in der Zeitschrift „Die Wandlung“ einst nannten, scheint – zumindest in Teilen – wieder salonfähig zu werden. Unternehmungen, die Sprache des „Dritten Reiches“ zu katalogisieren, setzen bereits recht früh ein. Bereits vor dem bereits genannten „Wörterbuch des Unmenschen“ begann Victor Klemperer im Jahr 1933 mit der systematischen Sammlung der von ihm „Lingua tertii imperii“ (LTI). Diese Sammlung legte schonungslos und akribisch die menschenverachtende und zugleich verharmlosende Sprachwirklichkeit der Nazis und ihrer Helfer und willigen Vollstrecker an den Tag. Geschrieben unter der ständigen Gefahr der Entdeckung und Denunziation, stellt Klemperers „Tagebuch eines Philologen“ ein Standardwerk ersten Ranges dar, das die maßlose und gegen die Vernunft gerichtete Natur der „nationalen“ Sprache aufzeigt.
Die beiden Texte, sowohl das „Wörterbuch“ als auch die „LTI“ zielen eher auf eine Sprachkritik ab, wollen zeigen, dass sich die Sprache der Täter keineswegs verflüchtigt hat, sondern, wie auch die aktuellen Beispiele zeigen, immer ein nicht zu unterschlagender Teil der Sprache der Deutschen ist – und dies nicht nur bei den Ewiggestrigen und den Vertretern des Kapitals. Einen etwas anderen Weg schlägt Cornelia Schmitz-Berning mit ihrem „Vokabular des Nationalsozialmus“ ein, der jüngst in der zweiten Auflage bei de Gruyter erschien. Im Vorwort schreibt sie, sie möchte mit ihrem Buch „einen Einblick in die Geschichte und die speziellen Verwendungsweisen von Ausdrücken, Organisationsnamen und festen Wendungen geben, die sich dem offiziellen Sprachgebrauch im NS-Staat zuordnen lassen“. Also eine eher an der Sache denn an einer Sprachkritik orientierte Sichtweise.
Das tut dem Ganzen natürlich keinen Abbruch, denn die von Schmitz-Berning aufgenommenen Artikel sind präzise und umfassend recherchiert. Sie stützt sich auf eine imposante Fülle von Quellen und erläutert die Begriffe in all ihren Facetten, so dass die Einträge zum Teil überaus umfangreich sind. Neben der reinen Bedeutung des Wortes oder der Wendung im Sprachduktus der Nationalsozialisten erläutert die Autorin auch die sprachgeschichtliche Bedeutung des Begriffes vor, während und nach der faschistischen Ära. Die  „Gleichschaltung“ beispielsweise war  ursprünglich ein Begriff aus der Elektrotechnik. Im Jahr 1933 wurde das Wort  in einem Erlass des Reichsjustizministers erstmals benutzt, um die Aufhebung des organisatorischen Pluralismus per Gesetz durchzusetzen und wurde in den kommenden zwei Jahren geradezu zu einem Modebegriff der nationalen Machthaber. Danach wurde das Wort in offiziellen Schriftstücken kaum noch erwähnt und kam erst wieder nach 1945 zum Vorschein, zunächst als abwertende Bezeichnung der Versuche, das „Denken und Handeln“ auf eine „einheitliche Linie zu bringen“, dann aber auch als positiv besetzte Politfloskel, wie Schmitz-Berning anführt. Die „Gleichschaltung“ ist auch ein typisches Beispiel für die nationalsozialistische Vorliebe, Termini aus der Technik zu entlehnen, sozusagen eine „Mechanisierung der Sprache“ zu vollziehen. Blättert man im vorliegenden Buch, so fallen einem immer wieder solche ,maschinisierte‘ Begriffe auf, die Bewegung und Entwicklung spielt eine immense Rolle beim „entjuden“, „aufnorden“ oder „vernegern“.
Das „Vokabular des Nationalsozialismus“ wurde für die zweite Auflage nur leicht ergänzt und erweitert, die augenfälligste Änderung gegenüber der Erstauflage ist das nun vorhandene und die Handhabung erleichternde Register. Einige Ergänzungen hätte man sich schon gewünscht, doch ist das Fehlen einiger vermisster Einträge auch der Grundkonzeption des Buches geschuldet. Indem Schmitz-Berning sich ausdrücklich auf den „offiziellen“ Sprachgebrauch stützt, benennt sie ihr Vorhaben zwar recht präzise, doch enthebt sich auch der Möglichkeit, zentrale Begriffe der nationalsozialistischen Sprache mit zu berücksichtigen, die zwar nicht von offizieller Seite, aber sehr wohl von deren Protagonisten verwendet wurde. Geläufige Begriffe wie Muttertag, Reichskristallnacht, Reichstagsbrand und militärische Wendungen wie Stuka oder Flak sucht man also vergebens. Hier wäre durchaus noch Raum für zukünftige Forschung. Dessen ungeachtet ist Cornelia Schmitz-Bernings Buch nicht nur für Historiker interessant und als Standardwerk zu begreifen, auch für den Philologen bietet es einen reichhaltigen Fundus. Und dem Leser hilft es auf jeden Fall, aufmerksam zu sein gegenüber der Durchdringung der Alltagssprache durch den Duktus der Täter.

 

Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. 2. durchgesehene und überarbeitete Auflage.
Walter de Gruyter Verlag, Berlin 2007.
717 Seiten, 29,90 EUR.

ISBN 978-3-11-019549-1