Fußball, Fußball über alles

Ein Rückblick auf die WM-Bücherflut

Von André Schwarz

Bibliographie

So langsam erwacht das Land aus dem wochenlang anhaltenden Taumel aus schwarz-rot-goldener Dauerbeflaggung nebst fremdländischer enthusiasmierter Fanhorden in den Innenstadten und man fragt sich, was man denn nun mit seiner Zeit nach der Arbeit anfangen soll. Hoffnungsvolles Durchzappen der Kanäle - doch nirgends ist das runde Leder in Sicht, das mittlerweile schon gar kein Leder mehr ist, sondern ein diffuser Weltraummaterialmix mit einer nie dagewesenen Rundheit, so machte uns zumindest der Hersteller glauben.

Und nicht nur das Organisationskomitee hatte sich auf jede mögliche Eventualität vorbereitet, auch die Verlage überboten sich gegenseitig mit Büchern, die das Thema Fußball in jeder noch so kleinen Verästelung untersuchten. Vom Ratgeber für die geplagte Frau und Regelzusammenstellungen für den Teilzeit-Fan über harmlose und manchmal erstaunlich gehaltvolle Biographien bis hin zu ernsthaften wissenschaftlichen Weihen war alles vertreten.

Doch braucht der Fan wirklich das Buch? Es würde sich zumindest sehr merkwürdig ausmachen, wenn er im Fanbus sitzend plötzlich ein hochgeistiges Werk auspacken würde und sich den Lärm um ihn herum verbitten würde. Das Fantum als solches wird durch eine gedankliche Form der Erinnerung gestützt, jeder kann sich an bestimmte, prägende Momente seines jeweiligen Vereines erinnern, ob es nun ein Sieg gegen Real Madrid, eine überraschende Meisterschaft oder gar der Schock eines Abstieges war. Schriftlich fixierte Erinnerung hingegen ist dem Fan eher fremd.

Was soll also das Buch, so fragt man sich. Klar zu erkennen ist, daß - leider - der größte Teil der Neuerscheinungen in diesem Sektor Werke sind, die kein Mensch braucht und die irgendwie auf das Thema zurechtgebogen werden, um ein paar Exemplare zu verkaufen. Manche sind eigentlich gut gemeinte, aber dann eher weniger gut gemachte Versuche, dem Fußball auf eine andere Art entgegenzutreten, etwa die »Stimmen aus dem Abseits« aus dem Konkursbuch-Verlag. Ein paar nette Texte sind enthalten: Jürgen Wertheimers Beitrag zum Masochismus des Fans ist uneingeschränkt zu empfehlen, bei vielen anderen ist aber eher Geduld beim Lesen gefragt.

Nochmals also die Frage: Was soll das Buch? Nun ja, ein passend kontextualisiertes Geschenk kann das Buch für den Fan schon sein, etwa eine - übrigens sehr spaßige - Günter-Netzer-Biografie oder ein literarisches Lesebuch für Abitioniertere. Das Fußball-Buch kann aber auch eine gute intellektuelle Unterhaltung sein, ob man es glauben mag oder nicht. Klaus Theweleit machte es mit seinem »Tor zur Welt« vor, Gunter Gebauer versucht sich gekonnt an der »Poetik des Fußballs« und auch literarische Autoren finden Gefallen am Sport. Albert Ostermaier etwa mit seinem schönen Bändchen »Der Torwart ist immer dort, wo es weh tut«. Auch wenn er Fan eines nicht gerade beliebten Vereins mit einem vermeintlichen Titanen im Tor ist, schreiben kann er. Wunderbar seine Texte »manndecker oder: die mannheimer schule« oder »In den Wolken«, in dem er die Erinnerung an Uli Hoeneß´ legendären Schuß in den nächtlichen Himmel Belgrads durchlebt oder - besser gesagt - durchleidet.

So gesehen hat das Buch auch für den Fan eine Bedeutung - als Kulturgut, als literarische Bearbeitung einer gemeinsamen - gelegentlich ins Obsessive gehenden - Leidenschaft und - beispielsweise bei Theweleit oder Gebauer - als Reflektieren über Mechanismen und Hintergründe des Ganzen.

Wir haben für Sie ein paar Fußballbücher herausgesucht und hoffen, mit dieser Nachlese aufzuzeigen, was denn bleibt vom Spiel im Buch, auch nachdem das letzte Fähnlein die Seitenscheiben der Republik verlassen hat.

Albert Ostermaier:

Der Torwart ist immer dort, wo es weh tut.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006.
114 Seiten, 7,00 EUR.
ISBN 3-518-12469-2

 

Klaus Theweleit:

Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell

Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln.2004.
233 Seiten, 9,95 EUR
ISBN 3-462-03393-X


Gunter Gebauer:

Poetik des Fußballs.

Campus Verlag, Frankfurt am Main 2006.
179 Seiten, 14,90 EUR
ISBN 3-593-37946-5

 


Günter Netzer:

Aus der Tiefe des Raumes. Mein Leben.

Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005.
272 Seiten, 19,90 EUR
ISBN 3-499- 61921-0

 

Konkursbuch Spezial 45:

Stimmen aus dem Abseits. antiFussball.

Herausgegeben von Klaus Berndl, Oliver Krull und Gabriele Scholz.
Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke, Tübingen 2006.
190 Seiten, 10,00 EUR

 

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